Machtkonzentration, Überwachung und Zersplitterung

Wege zur Macht über Andere

Wege zur Macht über Andere

→ Ein offener Brief an Frau Kappert von der Taz zu ihrem Kommentar über die NSA: Die Datenterroristen: Geheimdienste haben mehr Informationen, verlieren aber an Macht

Sehr geehrte Frau Kappert,

Ihr Kommentar fing in meinen Augen sehr gut an. Doch der Abschluss war schwächer als der Anfang erhoffen ließ.

Machtkonzentration, Überwachung und Zersplitterung (PDF)
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Wenn hier in Deutschland Tausende vor Banken demonstrieren, dann kommt das eine Weile in den Nachrichten. Danach gibt es plötzlich ein paar Skandale und kurz darauf wird geräumt. Und dann ist es vorbei und alles geht so weiter wie bisher.

Konstantin Wecker sagte nach 35 Jahren als Musiker „Ich bin damals angetreten, die Welt mit meiner Musik zu verändern. Die Welt hat sich verändert. Aber was soll ich sagen: Ich war es nicht.“1

Inhalt:

Zustand

Vor 30 Jahren sind die Grünen angetreten, Frieden in der Welt zu verbreiten. Heute mischt Deutschland in jedem Krieg mit. Denn wir sind ja in der Nato, und da müssen wir helfen.

Die SPD ist angetreten, für die Arbeiter zu kämpfen. Jetzt waren sie an der Macht, und die Ungleichheit in Deutschland ist größer denn je.

Irgendjemand ändert hier etwas. Aber wir sind es nicht. Obwohl „unsere“ Parteien so stark sind wie nie zuvor.

Edward Snowden veröffentlicht Machenschaften, die allen Interessierten seit 10 Jahren bekannt sind. Und das geht durch alle Medien. Doch es passiert nichts.

Im Nahen Osten wird ein Mädchen angeschossen, weil es sich für Mitschülerinnen einsetzt. Denn es könnte wirklich etwas bewirken: Die dortigen Machtstrukturen sind vergleichsweise fragil. Sie brauchen die ständige Kooperation der Masse. Hier lässt man solche Mädchen gewähren. Denn wirklich bewirken können sie nichts.

Macht

Die Herrschenden haben keine Angst vor ein paar Bürgerrechten. Die alten Kämpfe können gerne gewonnen werden. Denn bei uns sind sie schon lange keine Gefahr für die Mächtigen mehr. All das, was sie erreichen, kann leicht zurückgedreht werden. Denn die Herrschaftsverhältnisse werden derweil immer klarer.

Ein bisschen Hilfe für Afrika, das ist gut. Je mehr Leute sich dafür einsetzen, desto mehr Potenzial für Veränderung hier im Land ist gebunden. Am besten sollten sie sich dabei nie wirklich treffen. So kann ihre Dynamik nicht für andere Themen genutzt werden - oder sie können durch eine zentrale Stelle gelenkt werden.

Wer eine Gefahr für die Herrschaftsverhältnisse darstellt, sehen wir, wenn wir darauf achten, gegen wen vorgegangen wird. Und welche politischen Veränderungen auch gegen breiten Widerstand in der Bevölkerung einfach umgesetzt werden.2

Methoden

Vereinsamung im Job, das ist wichtig. Denn so können sich die Angestellten schon nicht organisieren wie es im 19. Jahrhundert die Arbeiter taten. Nur nicht wieder Fließband.

Besser viel Leiharbeit mit ständig wechselnden Gruppen. Maximale Flexibilität, damit stabile Gruppen aufgebrochen werden - oder zumindest so stark verstreut, dass sie sich nicht mehr effizient organisieren können. Verbindungen im Internet und im Kontakt bleiben mit alten Freunden ganz wo anders. Das ist gut, denn die können auf Entfernung nur reden, aber kaum zusammen handeln. Und durch den Kontakt ist genügend Aufmerksamkeit gebunden, dass man lokal keine Gruppen mehr gründen kann. (ich sehe das deutlich, denn mir geht es selbst so)

Die Gefahr dieser weltweiten Organisation ist, dass sich plötzlich viele gemeinsam bewegen könnten.

Sie wird durch Überwachung und Medienkontrolle abgefangen, was auch praktischerweise eine Kontrolle der demokratischen Willensbildung ermöglicht3. Die Medienunternehmen gehören einigen wenigen. Und durch Überwachung lässt sich feststellen, wo aus unzusammenhängenden Grüppchen eine kritische Masse entstehen könnte. Die Verbindung aller zentralisierten Kanäle zur Informationsgewinnung stellt sicher, dass keine größere Organisation entstehen kann, ohne dass vorher eingegriffen werden könnte. In Europa heißt das Projekt INDECT.

Und durch ein hartes Urheberrecht wird die Weitergabe von Ideen in große Gruppen unterbunden, denn kaum ein Bestandteil unseres privaten Lebens darf mehr politisch genutzt werden. Nicht einmal politische Lieder dürfen weitergegeben werden.

Durch steigenden Einsatz von Drohnen werden gleichzeitig immer weniger vertrauenswürdige Menschen benötigt, um eine effektive Kontrolle der Gesellschaft zu ermöglichen.

All das erhöht das Machtungleichgewicht in unseren Gesellschaften.

Konzentration

Dieses Ungleichgewicht zeigt sich in der immer weiter wachsenden Vermögenskonzentration4, allerdings nicht nur.

Korruption ist die offensichtlichste Auswirkung davon: Wo Geld politische Veränderung erkaufen kann, ist Geldbesitz reale Macht. Aber dass eine Lifestyle-Zeitung wie vanity fair einen Artikel namens “Of the 1%, by the 1%, for the 1%” veröffentlichen kann, zeigt, dass diese Entwicklung so gefestigt ist, dass sie durch Informationen über die Ungleichheit alleine kaum gefährdet werden kann.

Die Kanäle, durch die sie gefestigt wird, finden wir, wenn wir uns ansehen, auf welche Leute eingeschlagen wird.

Edward Snowden, Bradley Manning und Julian Assange sind offensichtliche Beispiele. Folter und internationale Hetze sind für alle Leute zu erkennen, die nicht völlig in einer Ideologie gefangen sind: Sie zeigen, wie groß die Angst davor sein muss, dass deren Informationen nicht nur ein paar wenige erreichen, sondern die breite Öffentlichkeit. Und dass noch mehr Leute diesen Weg gehen - vielleicht mit noch brisanteren Informationen. Denn Edward Snowden wurde nicht nur gefährlich, weil er Daten herausgegeben hat, sondern weil er sie so veröffentlicht hat, dass die Verbreitung nicht verhindert werden konnte, ohne den Grad an Kontrolle über die Massenmedien zu offenbaren, der schon alleine durch deren Besitzverhältnisse gegeben ist. Und weil er gezeigt hat, wie sehr sich die Mächtigen gegenseitig unter Kontrolle haben: Wer aussteigt, fällt sofort tief. Denn die Überwachung der EU-Parlamentarier und des Deutschen Bundestages5 zeigt, dass sie fast alle erpressbar sind.

Weniger offensichtlich ist, wie Hartz4-Empfänger, die gegen Hartz4 als System sprechen und nicht nur gegen die Höhe der Sätze, zielgerichtet diskreditiert werden. Und wie die Piraten zu einer Bewegung für mehr Bürgerbeteiligung zurechtgestutzt wurden. Oder die Grüne Alternative zum Grünen Jobwunder.6

Oder wie das Bedingungslose Grundeinkommen und eine echte Vermögenssteuer, die die Vermögensungleichheit wirklich reduziert, immer wieder aus Parteiprogrammen verschwinden - oder von anderen Themen weit in den Hintergrund gedrängt werden.

Alles zusammengenommen haben Bürgerbewegungen in den letzten 50 Jahren viel getan und viel erreicht. Aber die Machtkonzentration ist gleichzeitig immer weiter gestiegen. Und es wurden reale Machtinstrumente geschaffen, mit denen diese Konzentration erhalten werden kann, selbst wenn 90% der Menschen dagegen aufbegehren sollten.

Das heißt, wir haben etwas übersehen.

Die wichtigste Frage, die sich heute für mich stellt, ist ob die Mächtigen noch abhängig genug von der großen Mehrheit sind, dass wir das Ruder zurückdrehen können. Drohnen und weitgehende Überwachung aller Interaktionen sind die Gefahr, die ich am deutlichsten sehe.

Der Drohnenpilot ist nicht mehr an der Front. Er kann nicht mehr desertieren. Also muss er auch nicht mehr loyal sein, solange er vollständig überwacht werden kann. Und entsprechend brauchen Herrschende bald viel weniger loyale (oder gekaufte) Helfer, was die realen Machtverhältnisse noch stärker verzerren wird. Die Vermögensungleichheit überträgt sich viel direkter in reale Macht.

Doch auch das ist nur ein Aspekt, über den die Machtkonzentration gefestigt wird. Und es beantwortet nicht, welche Möglichkeiten wir haben, um diese Machtkonzentration wieder zu verringern.

Auswege

Das Desinteresse an Mannings weiterem Schicksal ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass ein Interesse an ihrem Schicksal nichts bewirkt. Viele haben demonstriert und sie ist trotzdem in Haft. Als es damals Demos gegen den Vietnamkrieg gab, wurde dieser Krieg beendet. Heutige Demos gegen Guantanamo bringen zwar einen neuen Präsidenten ins Amt, aber Guantanamo schaffen sie nicht ab.

Es gibt heute viele Bereiche, in denen wir leicht etwas bewirken können. In ein paar Bereichen dagegen stoßen wir gegen eine Wand. Was wir auch tun, es bewegt sich nichts. Diese Bereiche zeigen, wie groß das Machtungleichgewicht in unseren Gesellschaften wirklich ist. Und um hier etwas zu erreichen, brauchen wir mehr als ein paar Demos. Wir brauchen stabile Organisation.

Doch durch Überwachung und Zersplitterung der Gesellschaft lässt sich gerade diese Art von Organisation leicht aufbrechen. Zentrale Schwachstellen lassen sich durch Überwachung leicht finden und korrumpieren und eine Organisation ohne zentrale Schwachstellen, die für große Gruppen funktioniert (echte Demokratie), braucht so viel Beständigkeit, dass die Zersplitterung sie leicht zerbrechen kann.

Wenn ich das sehe, verzweifle ich manchmal. Ich versuche die Situation wirklich zu verstehen und weitere Handlungsansätze zu finden, die unsere Probleme an der Wurzel angehen und nicht nur kosmetisch wirken. Doch neben Arbeit, Familie und etwas politischem und sozialem Leben bleibt mir weniger Zeit als ich glaube dafür zu brauchen. Daher wünsche ich mir, dass Sie die einzigartigen Möglichkeiten, die Ihnen ihre Arbeit in der Taz bietet, nutzen, um die Situationen wirklich zu durchdringen und effektive Wege zu finden und bekannt zu machen, mit denen wir die Macht in unserer Gesellschaft wieder gleichmäßiger verteilen können. Das ganze nicht nur als Themenblatt, das mal kurz aufblitzt und bald vergessen ist, sondern immer wieder, wann immer Sie etwas dazu finden oder verstehen. Oder vielleicht als einzelne Artikel, die verschiedene Aspekte der Macht und gelebter Demokratie aufgreifen. Wege, mit denen jeder und jede Einzelne etwas unternehmen kann, das auch im Großen etwas bewirkt. Wege, die schwer zu korrumpieren sind. Und Wege, die mehr sind als nur ein Feigenblatt oder Nebenschauplatz, hinter dem die Ungerechtigkeiten im Hintergrund unsichtbar werden.

Liebe Grüße,
Arne Babenhauserheide


  1. Reiche versuchen ihre Macht strukturell zu verankern: Macht und Geld wurden in den letzten Jahrzehnten immer stärker auf eine kleine Gruppe konzentriert, und kaum jemand wagt es, Geldbesitz als Rechtfertigung für Entscheidungsmacht anzuzweifeln. Diese kleine Gruppe arbeitet aktiv daran, ihre Macht in gesellschaftlichen Strukturen zu verankern. Dabei ist ihr Reichtum kein sinnvolles Maß für Leistung, nicht einmal ein selbst-konsistentes

  2. Beispiele sind Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, Unterstützung der Lybischen Küstenwache, die Flüchtlinge und Rettungsschiffe angreift und bedroht, oder die Auflösung von Blockupy-Camps vor der Frankfurter Börse mit nachläufiger Beschlagnahmung der Festplatten von Journalisten

  3. Korruption und Vorteilsnahme in der Politik sind in jeder Demokratie zu erwarten, in der es zu starke Geldkonzentrationen gibt. Auf die Art wird die Demokratie mit der Zeit zu einer Farce

  4. Die immer weiter steigende Vermögenskonzentration wird leider in unserem aktuellen System gefördert

  5. Der Grad der Gefährdung unserer Repräsentation durch Überwachung wurde 2015 unübersehbar: „IT des Deutschen Bundestages fremdkontrolliert. Oppositionsabgeordnete ratlos.“ 

  6. Allerdings konnten sich die Grünen durch ihre basisdemokratische Struktur einen Teil ihrer Existenz bewahren. Zumindest sah das beim Bundesparteitag 2013 so aus - ob es echt war oder nur eine Fassade, hinter der sich stärkere Machtstrukturen verbergen, hätte sich nach der Wahl zeigen können, wenn sie nicht ein paar Wochen vor der Wahl plötzlich Opfer einer massiven Schmutzkampagne geworden wären. Wie das bei den Linken aussieht, kann ich nicht beurteilen. 

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