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Schädliche Zustimmung zu Gallo

→ Ein offener Brief an Herrn Reinhard Bütikofer von den Grünen, der gegen seine Wähler und gegen seine Fraktion für Gallo gestimmt hat [1]. Ich habe ihn ihm über das Kontaktformular [2] auf seiner Seite geschrieben.

Sehr geehrter Herr Bütikofer,

Mit Ihrer Zustimmung zu Gallo setzen Sie ein verheerendes Signal für alle netzaffinen Wähler der Grünen: Die Basis ist gegen Gallo, die Fraktion ist gegen Gallo, aber gerade Sie als Leiter der Europagruppe der Grünen und Ihre Stellvertreterin Helga Trüpel stimmen für Gallo.

Warum Gallo gefährlich und sowohl für die meisten Ihrer Wähler als auch für Kreative schädlich ist, haben andere bereits ausführlich geschrieben1, deswegen will ich mich kurz fassen:

  • Tauschbörsen verursachen keinen Schaden. Die Argumentation, dass Leute kaufen würden, was sie herunterladen, ist eine bewusste Irreführung, die schon alleine dadurch offensichtlich wird, dass der Preis der heruntergeladenen Werke auf CD oder DVD oft ein Vielfaches des Einkommens der Nutzer wäre. Gleichzeitig geben aber Tauschbörsennutzer überdurchschnittlich viel Geld für Medien aus. Die stärkere Verbreitung von Medien durch Tauschbörsen hat daher keine signifikant negative Auswirkung auf die Verkäufe, denn nur weil jemand ein Lied nicht herunterladen kann, hat er nicht plötzlich mehr Geld, um sich Musik oder Filme zu kaufen. Im Gegenteil ist es wahrscheinlich, dass die Medienunternehmen von dem gesteigerten Interesse an ihren Werken profitieren. Wie sonst erklären Sie es sich, dass die Unternehmen überleben, obwohl sie ihre eigenen Kunden als Kriminelle bezeichnen?

  • Tauschbörsen ermöglichen jedem und jeder Deutschen, der/die einen Computer hat, in den Genuss von kulturellen Werken zu kommen, unabhängig von Einkommen und Vermögen. Auf die Art sind sie eine weitaus erfolgreichere Kulturförderung als öffentliche Bibliotheken, und für den Staat dazu noch kostenlos.

  • Tauschbörsen ermöglichen es Künstlern, außerhalb der etablierten Vertriebskanäle bekannt zu werden und machen die Kreativen unabhängiger von großen Medienunternehmen. Auf die Art fördern sie selbstständige Künstler. Ein Beispiel dafür aus Amerika sind Tom Smith2 und Howard Taylor3, die beide ihre Werke frei im Internet anbieten und damit ihren Lebensunterhalt verdienen.

  • Gallo will stärkere Repressionen gegen die etwa 30% Tauschbörsen-Nutzer in unserem Land. Da die Grünen viele junge Wähler haben, sind Ihre Wähler davon überdurchschnittlich stark betroffen.

  • Gallo fordert „nichtlegislative Maßnahmen“, um Tauschbörsen zu bekämpfen. Das bedeutet, Firmen sollen am Staat vorbei Sanktionen gegen Nutzer anderer Firmen verhängen können. Dass hierbei die Beweislast kaum mehr bei den Firmen liegen kann wird schon dadurch deutlich, dass kaum ein Computer im Internet sicher ist (zumindest fast keiner auf dem Windows läuft). Wollen Sie wirklich, dass tausende von Internetnutzern ihre Internetverbindung verlieren, weil ihr Computer einmal von einem Virus befallen war? Oder weil jemand in Ihr lokales Netz eingebrochen ist? Und wollen Sie wirklich, dass private Firmen ohne staatliche Kontrolle Strafmaßnahmen verhängen dürfen?

Aus diesen Gründen, und weil es ein verheerendes Signal sendet, wenn die beiden Leiter der Europagruppe gegen ihre eigene Fraktion stimmen, möchte ich sie bitten, in Zukunft die Folgen Ihres Abstimmungsverhalten für Ihre Wähler und Ihre Fraktion gründlicher zu überdenken oder einfach ihren internetaffineren Fraktionskollegen zu vertrauen.

Mit freundlichen Grüßen,
Arne Babenhauserheide

PS: Wenn auch du ihm schreiben willst, was du von seiner Abstimmung hältst, kannst du das Kontaktformular [2] auf seiner Seite nutzen. Wenn du stattdessen Helga Trüpel schreiben willst (die beiden sind die einzigen Grünen, die für Gallo gestimmt haben), findest du ihre E-Mail-Adresse auf ihrer Kontaktseite [3]. Sie müssen hören, was wir von ihrer Abstimmung halten, wenn sie realisieren sollen, dass sie sich mit ihrer Abstimmung nicht nur gegen ihre Fraktion, sondern gegen ihre eigenen Wähler gewandt haben. Manchmal braucht das freie Gewissen etwas Nachhilfe um zu realisieren, was falsch und was richtig ist, v.a. in Bereichen von denen die Betreffenden wenig Ahnung haben.

PPS: Ich habe auch einen offenen Brief an Frau Trüpel [4] geschrieben.


  1. Gefahren durch Gallo [5] ↩

  2. Tom Smith [6]: Selbstständiger Musiker, der das Internet als Vertriebskanal nutzt. ↩

  3. Howard Taylor [7]: Webcomic-Autor, der sein Geld damit verdient, seinen Comic gratis ins Netz zu stellen und ihn nachträglich als Buch an seine Fans zu verkaufen – während die Comics im Netz sind. ↩

Begründung von Herrn Bütikofer zu seiner Abstimmung bei Gallo

Reinhard Bütikofer hat mir auf Abgeordnetenwatch eine Begründung für seine Entscheidung geschrieben [8], und die Antwort hat meinen Respekt.

UPDATE: Maha (Martin Haase), Professor für Sprachen, hat auf dem 27c3 [9] in seinem Vortrag Ich sehe nicht, dass wir nicht zustimmen werden – Die Sprache des politischen Verrats und seiner Rechtfertigung [10] die Antwort analysiert. Mein Respekt war offensichtlich fehlgeleitet. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so leicht auf rhetorische Tricks reinfalle. Nächstes Mal bin ich vorsichtiger.

Er hat dabei wiederum Fragen gestellt, und es gibt ein paar Punkte bei meinem Text, die wohl unklar waren. Ich fange erstmal mit dem Unklaren an:

  • Mit „gegen ihre Wähler“, meine ich nicht, dass jeder Wähler und jedes Mitglied der Grünen zwangsläufig gegen Gallo ist und die Entscheidung für Gallo verdammen würde, sondern dass Gallo jedem Wähler und jedem Mitglied der Grünen schadet, indem es Bürgerrechte aushebelt und den Ruf der Grünen bei der Netzgemeinde beschädigt – obwohl die Grünen und die Netzgemeinde sehr gut zusammenpassen. Auch wenn 1000 Leute per E-Mail schreiben, dass sie gegen Gallo sind, könnten immernoch die anderen einfach stumm bleiben. Selbst wenn aber Wähler für Gallo sind, schadet es ihnen, auch wenn sie es wegen ungenügend Überblick über den Einfluss des Internet auf ihr Leben noch nicht sehen. Nach Jahren in Tauschbörsen und vielen Diskussionen über sie – mit Nutzern und Entwicklern – denke ich, dass ich die Probleme halbwegs überblicke und eben sehe, was die Folgen des Versuches sind, Tauschbörsen zu verbieten.

  • Gegen ihre Fraktion schreibe ich, weil meines Verständnisses nach die Grünen grundlegend gegen Verschärfungen des Urheberrechts sind. Sauberer wäre gewesen: „Gegen Ihre Fraktion und zum Schaden Ihrer Wähler“.

  • Dass es keine Grundsatzdebatte zu dem Thema gab finde ich schade, ich hoffe aber, dass es sie spätestens jetzt geben wird. Das Thema ist zu invasiv, um nicht diskutiert zu werden. Dafür dürfte es ein großer Vorteil sein, dass Sie Leiter der Europagruppe sind. Und ich finde es klasse, dass Sie eben nicht der Herde nachlaufen, sondern sich eine eigene Meinung bilden wollen (selbst wenn sie mal anderer Meinung sind als ich)! Das gehört für mich mit zu den Gründen, die Grünen zu wählen. Ich hoffe natürlich, dass ich ihnen nahebringen kann, warum Gallo und ähnliche Versuche der Aushöhlung der Bürgerrechte in der digitalen Welt schädlich sind und warum dem Großteil der Künstler mit einem aggressiveren nicht geholfen ist. Den internetaffinieren in der Fraktion zu vertrauen heißt hier, sie zu fragen, warum sie ihrer Meinung sind, und ihrer Einschätzung der Bereiche zu vertrauen, in denen Sie selbst nicht so firm sind. Es heißt nicht, ohne Rückfragen hinterherzulaufen (bzw. sollte das nicht heißen). Die haben nihct nur Recht (meiner Ansicht nach), sondern vermutlich auch Erfahrung (im Internet) und Argumente.

  • Ich bin der Meinung, dass es legale digitale Kulturangebote geben muss. Stärkere Repressionsmaßnahmen halte ich aber für den falschen Weg, weil sie erstens nichts bringen (sie werden seit Jahren verstärkt und Tauschbörsen wurden immer größer) und zweitens vor allem denen Schaden, die den Künstlern Geld geben wollen. Die Rahmenbedingungen von Kultur im digitalen sind völlig andere als in der physischen Welt, denn es gibt kaum mehr natürliche Kosten der Weitergabe von Werken und es braucht viel weniger Mittelsleute, um den Künstlern Geld zu geben. Die Haltung gegen die großen Medienunternehmen ist keine Antikapitalistische, sondern eine Haltung gegen Gesetze, die unsere Bürgerrechte beschneiden, um eine Industrie zu retten, die die Zeichen der Zeit verschlafen hat (im Gegensatz übrigens zu vielen innovativen Künstlern, die das Internet als Medium nutzen und damit Geld verdienen oder zumindest über das Internet so bekannt werden, dass sie auf andere Art Geld verdienen können).

  • Es geht nicht um ein Eigentum, dass den Künstlern natürlich gehört, sondern um ein Vorrecht, das der Staat Künstlern gibt und das es ihnen erlaubt, die Handlungsfreiheit Anderer einzuschränken, wenn diese mit Werken arbeiten, die von dem Künstler geschaffen wurden. Sie haben also nicht das „Eigentum“ an den kopierten Werken (schließlich wird ihnen beim Kopieren nichts weggenommen), sondern ein vom Staat gegebenes Monopol zur Kontrolle der Nutzung der Werke. Dieses Monopol hat ein einfaches Ziel: Das Gleichgewicht zwischen Rechten der Künstler und Rechten der Nutzer finden, bei dem gleichzeitig die Künstler möglichst viel Geld verdienen und die Bürger möglichst viel Zugriff auf Kultur haben, die ihnen gefällt. Diese Monopolrechte als „Geistiges Eigentum“ zu bezeichnen assoziiert die Frage des Urheberrechtes fälschlicherweise mit der Angst, etwas weggenommen zu bekommen und lenkt so von der Frage ab, was wirklich gut für die Kulturförderung ist. Deswegen nenne ich diese Rechte lieber „geistige Monopolrechte“. Dazu, wann welche Rechte sinnvoll sind, habe ich schon vor einiger Zeit einen längeren Artikel geschrieben: „Geistiges Eigentum“ – Sinn des Urheberrechtes und staatlich garantierter Monopolrechte → http://draketo.de/licht/politik/geistiges-eigentum-sinn-des-urheberrecht... [11]

  • Ich meine nicht nur deutsche Bürger, sondern jeden Europäer (und eigentlich jeden Menschen, aber für Nicht-Europäer kann das EU-Parlament halt wenig tun…). Ich hätte das sauberer formulieren sollen.

Da meine restliche Antwort etwas länger werden dürfte, versuche ich, sie über die nächsten Tage in einzelnen Abschnitten zu schreiben:

  • Die Versuche, Tauschbörsen zu stoppen: Etwas Geschichte von Napster über edonkey und Gnutella bis BitTorrent, i2p, tor, freenet, rapidshare, … [12].
  • Das Ziel des Urheberrechts: Künstler sollen Geld verdienen können und Bürger sollen an der Kunst teilhaben können, die sie mögen [13].
  • Brückenwächter ohne Schlucht: Die Misere der großen Medienunternehmen [14].
  • Finanzierungskonzepte von Kunst und Kultur im Internet ohne Erodierung der Bürgerrechte – ein Beispiel dazu: Eine Million Dollar in 10 Tagen mit dem Humble Indie Bundle [15].

„Dank“ Stuttgart 21 [16] könnte es aber etwas dauern, bis ich sie alle geschrieben habe.

Interpretation des Abstimmungsverhaltens von Herrn Bütikofer und Frau Trüpel zu Gallo

11k2 hat in seinem Blog gefragt [17], was wir davon halten, dass Helga Trüpel und Reinhard Bütikofer gegen ihre Fraktion für Gallo gestimmt haben.

Was ich davon halte ist einfach: 8 haben dagegen gestimmt, 2 dafür. Die zwei haben sich zu erklären, und zwar ihren Wählern und ihrer Fraktion.

Helga Trüpel hat das getan und dabei gezeigt, dass sie wenig Ahnung davon hat, wie die sozialen Strukturen im Internet funktionieren und was Urheberrechte dort anrichten, ohne den Urhebern wirklich einen Nutzen zu bringen. Ich habe ihr das öffentlich geschrieben1.

Reinhard Bütikofer hat es nichtmal für nötig befunden, sich zu erklären. Daher habe ich ihm einerseits geschrieben, dass er seinen Fraktion und seinen Wählern geschadet hat und dass er mehr über die Folgen seiner Entscheidungen nachdenken und im Zweifelsfall seinen internetaffineren Fraktionskollegen vertrauen soll2 und ihn andererseits auf Abgeordnetenwatch aufgefordert, sich zu erklären3.

Das interessante für mich: Mein tweet zu dem offenen Brief wurde viel weitergeben, auch von Grünen4, und eine Antwort auf den Brief war:

„@ArneBab Hi Arne, dein Brief an @bueti ist angemessen in Ton und Inhalt […] [18] – Wolfgang G. Wettach, Vorstand Grüne Tübingen“

Was die Abstimmung für mich deutlich zeigt:

  1. Wie schon bei anderen Abstimmungen hat ein gutes Drittel der Grünen wenig Ahnung vom Internet.
  2. Im Gegensatz zu den meisten anderen Abgeordneten stimmen Grüne nicht nur nach Parteilinie ab, sondern nach dem, was sie für richtig halten (auch wenn sie damit falsch liegen).

Ein Abdriften nach Rechts sehe ich da also nicht, sondern eher, dass das Drittel der Grünen-Politiker, das keine Ahnung vom Internet hat, leider immernoch nichts dazugelernt hat (ich lasse mich da gerne eines besseren belehren). Bei der Zensur haben sie sich enthalten (und argumentiert, dass nur die Zustimmungszahlen zählen, was soweit ich es mitbekommen habe, sogar richtig war, so dass in dem Fall Enthaltung=Ablehnung war). In der jetzigen Abstimmung haben zwei dafür gestimmt. Und wenn wir uns die Begründung von Helga Trüpel ansehen, klingt es schwer danach, als wären Lobbyisten an sie herangetreten (was bei Gallo anscheinend sehr aggressiv geschehen ist5) und hätten sie davon überzeugt so zu stimmen, denn es ist doch seltsam, wenn nur der Leiter und die stellvertretende Leiterin der Fraktion gegen ihre Fraktion stimmen und die stellvertretende Leiterin danach Verbände von Kreativen als Unterstützer nennt. Zitat: „hat die Unterstützung von zahlreichen Künstlerverbänden (u.a. FERA, EWC [19], FSE, FIM, ECA, SSA) und namhaften Künstlern wie den Regisseuren…“.

Um mal beispielhaft den EWC zu zitieren (weil die anderen alle nicht in den ersten Suchergebnissen von Google waren): Die Ziele des EWC sind „promoting awareness of issues such as copyright protection, licensing agreements, fair remuneration for authors, and the importance of individual creativity“. Anders gesagt: Der von Frau Trüpel genannte EWC ist eine europäische Lobbyorganisation für ein aggressiveres Urheberrecht.

Frau Trüpel hat daher vermutlich Lobbyisten mehr vertraut als ihrer eigenen Fraktion. Die Grünen haben zu dem Thema also offensichtlich einigen internen Diskussionsbedarf.

Die Statistiken auf votewatch zeigen, dass sowohl Bütikofer als auch Trüpel meist mit ihrer Fraktion stimmen67, d.h. ich vermute, dass sie Lobbyisten richtig auf den Leim gegangen sind und deswegen bei dem Thema wirklich glauben, dass ihre Fraktion unrecht hat. Ich hoffe entsprechend, dass die anderen Grünen die beiden entweder überzeugen können, dass sie sich einen Bären haben aufbinden lassen, oder sie aus der Leitung der EU-Gruppe nehmen. Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen verpflichtet, nicht ihrer Partei, und manchmal braucht das Gewissen etwas Nachhilfe, bevor es erkennt, was richtig und was falsch ist – und wo Leute versuchen, es hinters Licht zu führen.

Was ich als Konsequenz ziehe: Ich habe mir gerade Informationen zu einem Parteieintritt bei den Grünen schicken lassen8. Die Grünen vertreten mich fast überall sehr gut. Was Internet angeht brauchen aber offensichtlich einige von ihnen noch Nachhilfe, und ich denke, dass sie von innen sehr viel leichter zu erreichen sind als von außen. Und falls nicht, dann gehört das auf die Liste der Nachhilfethemen, denn die Grünen haben mit einem ähnlichen Fokus auf parteiinterner Demokratie angefangen wie die Piraten, und wenn dieses Ziel in der Realpolitik verwässert wurde, muss sich das wieder ändern, denn Parteien bleiben dann stark, wenn sie ihren Visionen treu bleiben, auch wenn das manchmal schwer ist. Sie können, was das Miteinander im Internet angeht, von den Piraten einiges lernen, und bei den Grünen ein System aufzusetzen, das dieses Miteinander ermöglicht, hat gesellschaftlich nochmal viel mehr Sprengkraft als bei den Piraten, weil es wegen der 30% nicht-internetaffinen bei den Grünen auch für Normalleute direkt nutzbar sein muss – und wenn es klappen sollte, auch genutzt werden wird.

Eine andere Frage, die sich dadurch aufdrängt ist, welche weiteren Wege es gibt, um zu verhindern, dass so etwas nochmal passiert. Es darf nicht sein, dass Lobbyisten unsere Politiker gezielt anlügen und damit auch noch durchkommen. Wenn ihr Ideen dazu habt, schreibt bitte einen Kommentar [20]. (wegen viel Spam schalte ich die Kommentare von Hand frei, es kann daher leider etwas dauern, bis der Kommentar hier auftaucht)


  1. Mein offener Brief an Frau Trüpel [21] ↩

  2. Mein offener Brief an Herrn Bütikofer [22] ↩

  3. Bitte um Stellungnahme an Herrn Bütikofer auf Abgeordnetenwatch [8] ↩

  4. Retweets meines offenen Briefes an Herrn Bütikofer [23] ↩

  5. Musikdieb hat dazu eine Analyse von Torrentfreak [24] zu Lobbyismus bei Gallo übersetzt und kommentiert: Lobby at its best: Toter und 7-Jährige unterzeichnen für Urheberrechts-Verschärfung [25]. ↩

  6. Bütikofer stimmt zu 97% wie die Fraktion [26] ↩

  7. Trüpel stimmt zu 95% wie die Fraktion [27] ↩

  8. Parteieintritt bei den Grünen: Informationen oder Eintrittsunterlagen schicken lassen [28] ↩

Verblendete Zustimmung zu Gallo

Update (2018): Die Grünen sind zwar lernfähig, Helga Trüpel scheint es aber nicht zu sein:

Zu true oder nicht true hatten wir doch schonmal was. Oh ja, 2010. Da habe ich auch schon belegt, wo Sie falsch lagen: https://t.co/lm6MOqBHNL [29] — aber ich hatte gedacht, Sie hätten dazugelernt—und das in einem Update geschrieben ("ist doch wählbar"). War das auf der BDK13 fake? ☹

— ((λ()'Dr.ArneBab)) (@ArneBab) May 4, 2018 [30]

Update (2013-04-28): Ich habe gestern die Rede von Helga Trüpel auf der BDK13 [31] zur Netzpolitik gesehen, und sie hat meine Befürchtungen widerlegt [32]. Grüne sind also lernfähig - und zum Glück sind Artikel im Netz nicht in Stein gemeißelt, so dass ich der Änderung hier Rechnung tragen kann: Was sie auf der BDK13 gesagt hat, ist für mich wählbar (wenn auch nicht meine Wunschaussage, aber das wäre auch etwas zuviel verlangt, wenn ich bedenke, wie weit unsere Positionen noch vor nur 3 Jahren auseinanderlagen). Und was matthi_bolte [33] sagte, war genau das, was ich mir wünsche: „Nicht entweder Netz oder Kultur. Wir haben Modelle!“ [34].

→ Ein offener Brief an Frau Helga Trüpel von den Grünen, die gegen ihre Wähler und gegen ihre Fraktion für Gallo gestimmt hat [35]. Ich habe ihn ihr per E-Mail geschickt ⇒ ihre Kontaktseite [3].

Sehr geehrte Frau Trüpel,

Ich habe gerade ihre Begründung [36] dafür gelesen, dass sie für Gallo [5] gestimmt haben, das eine private Internetpolizei gegen Urheberrechtsverletzungen schaffen will und unentgeltliche Weitergabe im Internet mit kommerzieller Produktpiraterie gleichsetzt, und ihre Argumentation spricht leider von Unkenntnis der Lage.

Die Kreativen werden durch härtere Gesetze nicht im Mindesten unterstützt, denn sie verdienen ihr Geld durch Konzerte und treue Fans, die Dinge kaufen, um sich mit den Kreativen zu identifizieren und sie zu unterstützen (damit sie mehr tolle Werke schaffen). Und diejenigen Künstler, die im Internet Geld verdienen sind interessanterweise eben die, die ihren Fans sagen „gebt es weiter! Und wenn ihr es mögt, kauft doch unsere Sonderausgabe oder gebt uns eine Spende.“

Durch das Verklagen seiner/ihrer Fans hat noch kein Künstler und keine Künstlerin mehr Fans gewonnen.

Gleichzeitig ist die nichtkommerzielle Weitergabe im Internet die effizienteste Kulturförderung, die es in unserem Land je gab. Nie zuvor hatten so viele Leute so einfachen Zugriff auf so viele kulturelle Werke. Diesen riesigen Fortschritt greift Gallo an.

Erkennen sie die Hybris darin, dass der deutsche Staat viel Geld für öffentliche Bibliotheken ausgibt, in denen ich mir die Werke der Kreativen gratis holen kann, gleichzeitig aber eine Technologie angreift, die genau das gleiche ermöglicht, allerdings ohne jegliche Kosten für den Staat?

Die Medienindustrie erzählt dabei, dass sie durch Tauschbörsen Verluste macht, schreibt gleichzeitig aber Rekordumsätze. Woher deren Verluste kommen? Das ist leicht erklärt:

„Nehmen wir an, jeder, der in der Bücherei ein Buch ausleiht, würde es auch kaufen. Dann machen wir pro ausgeliehenem Buch 15€ Verlust! Was meinen sie, was wir für Umsätze machen würden, wenn es keine Büchereien gäbe!“

Genau das ist die Argumentation der großen Medienkonzerne (wenn sie „Büchereien“ mit „Tauschbörsen“ ersetzen). Und das unterstützen sie mit ihrer Stimme für Gallo.

Daher möchte ich sie bitten, das nächste Mal die Konsequenzen ihrer Abstimmung noch etwas weiter zu bedenken, und im Zweifelsfall ihren interneterfahreneren Fraktionskollegen zu vertrauen.

Es gibt im Internet weniger eine Umsonst-Kultur, sondern eher eine „Ich zahle erst, wenn ich weiß, dass es mir gefällt“-Kultur. Denn es gibt keinen Grund mehr, die Katze im Sack zu kaufen.

Den erhofften Effekt, Tauschbörsen zu bekämpfen wird ihre Stimme übrigens auch nicht haben. Es wird genauso kommen, wie die letzten Male, wenn eine Tauschbörse geschlossen wurde: Die Nutzer wandern in besser geschützte Tauschbörsen ab. In diesen besser geschützten Tauschbörsen kann nun aber niemand mehr nachvollziehen, wie oft ein Musikstück heruntergeladen wurde, so dass alternative Vergütungswege für Kreative wie eine Kulturflatrate viel schwerer zu realisieren sind. Und glauben sie nicht, dass sich die anonymen Tauschbörsen ohne massive Grundrechtseingriffe verhindern lassen. Sie wurden teilweise gegen die Internetzensur in China entwickelt. Um sie zu stoppen müsste unser Staat daher deutlich restriktiver werden als China es heute ist, und ich hoffe, dass das nicht in ihrem Interesse liegt.

Mit freundlichen, wenn auch etwas grumpfigen Grüßen,
Arne Babenhauserheide

--
unpolitisch sein
heißt politisch sein,
ohne es zu merken.
- Arne (http://draketo.de [37])

PS: Wenn auch du ihr schreiben willst, was du von ihrer Abstimmung hältst, findest du ihre E-Mail-Adresse auf ihrer Kontaktseite [3]. Wenn du stattdessen Reinhard Bütikofer schreiben willst (die beiden sind die einzigen Grünen, die für Gallo gestimmt haben), kannst du das Kontaktformular [2] auf seiner Seite nutzen. Sie müssen hören, was wir von ihrer Abstimmung halten, wenn sie realisieren sollen, dass sie sich mit ihrer Abstimmung nicht nur gegen ihre Fraktion, sondern gegen ihre eigenen Wähler gewandt haben. Manchmal braucht das freie Gewissen etwas Nachhilfe um zu realisieren, was falsch und was richtig ist, v.a. in Bereichen von denen die Betroffenen wenig Ahnung haben.

PPS: Ich habe auch einen offenen Brief an Herrn Bütikofer [38] geschrieben.

Zweite verfehlte Rechtfertigung von Frau Trüpel für Gallo

Update (2018): Die Grünen sind zwar lernfähig, Helga Trüpel scheint es aber nicht zu sein. Sie hat zwar Ihrer Partei auf der Bundesdelegiertenkonferenz gesagt, sie wäre jetzt doch nicht für Zensur, fühlt sich aber nicht daran gebunden, nachdem sie für Ihre Partei ins EU-Parlament eingezogen ist. Kurz, sie hat ihre Partei belogen:

Zu true oder nicht true hatten wir doch schonmal was. Oh ja, 2010. Da habe ich auch schon belegt, wo Sie falsch lagen: https://t.co/lm6MOqBHNL [29] — aber ich hatte gedacht, Sie hätten dazugelernt—und das in einem Update geschrieben ("ist doch wählbar"). War das auf der BDK13 fake? ☹

— ((λ()'Dr.ArneBab)) (@ArneBab) May 4, 2018 [30]

Update (2013-04-28): Ich habe gestern die Rede von Helga Trüpel auf der BDK13 [31] zur Netzpolitik gesehen, und sie hat meine Befürchtungen widerlegt [32]. Grüne sind also lernfähig - und zum Glück sind Artikel im Netz nicht in Stein gemeißelt, so dass ich der Änderung hier Rechnung tragen kann: Was sie auf der BDK13 gesagt hat, ist für mich wählbar (wenn auch nicht meine Wunschaussage, aber das wäre auch etwas zuviel verlangt, wenn ich bedenke, wie weit unsere Positionen noch vor nur 3 Jahren auseinanderlagen). Und was matthi_bolte [33] sagte, war genau das, was ich mir wünsche: „Nicht entweder Netz oder Kultur. Wir haben Modelle!“ [34].

Helga Trüpel hat eine zweite Argumentation zu ihrer Abstimmung für Gallo [39] geschrieben. Ich habe mir die Zeit genommen, die Fehlinformationen der Lobbyisten aufzuzeigen. Den Text habe ich ihr auch als Kommentar auf ihrer Seite [40] geschrieben. Sollte er irgendwann verschwinden, wird er hoffentlich hier weiterleben.

Sehr geehrte Frau Trüpel,

Da sie die Unterstützerlisten als Argument nutzen: Haben sie die Listen geprüft? Eine Analyse dazu1 von laquadrature.net, gibt es inzwischen zusammengefasst auch auf Deutsch2. Kurz: Die „Unterstützer“ wurden oft nicht gefragt, existieren teils nichtmal oder sind seit Jahren tot.

Allgemein werfen Sie hier viele Probleme zusammen und schreiben Tauschbörsen die Schuld zu.

Beispielsweise den Rückgang der Albenverkäufe. Gerade in den USA ist das ein riesiges Problem für die Musikindustrie. Allerdings nicht wegen Tauschbörsen, sondern wegen Singleverkäufen im Internet. Nachdem die Musikindustrie seit Jahren einzelne Lieder hyped statt konsequent starke Künstler aufzubauen, haben nun Musikfans die Möglichkeit, nur noch diese Lieder zu kaufen statt immer die ganze CD kaufen zu müssen. Was dabei auffällt ist, dass das in Deutschland noch sehr viel weniger passiert als in anderen Ländern. Unsere Tauschbörsennutzung ist allerdings mindestens genauso hoch wie in anderen Ländern. Die zurückgehenden Albenverkäufe sind also schlicht ein Hausgemachtes Problem und nicht auf Tauschbörsen zurückzuführen. Und wenn Leute nicht mehr 10 Lieder kaufen müssen, obwohl sie nur eins wollen, sinkt logischerweise auch der Umsatz, weil eben nur noch eins verkauft wird.

Der Tera-Report

Dann stützen sie sich auf den Tera-Report3. Ich lese ihn gerade, und er liest sich wie eine Zusammenfassung all der Fehlinformationen, die in den letzten Jahren gestreut wurden. Fangen wir ganz einfach an:

„Im Szenario 1 wird davon ausgegangen, dass die digitale Piraterie parallel zum Filesharing-Traffic weiter zunehmen wird, was zu einer konservativen Schätzung der erwarteten Verluste führt.“

Grundfehler: Die Medienindustrie verliert kein Geld, wenn Leute mehr Medien tauschen. Sie verliert nur dann Geld, wenn Leute weniger Medien kaufen. Und nachdem bereits heute alle Medien im Netz verfügbar sind, und zwar schneller als man zur Videothek kommt, ist die Aussage einfach Unsinn: Der erhöhte Traffic geht auf größere Dateien zurück, nicht auf weniger Verkäufe.

Wie schafft man es nun aber am schnellsten, dass Leute einem kein Geld mehr geben wollen? Ein sehr effizienter Weg ist, sie alle als Kriminelle zu bezeichnen.

Und als ob das nicht verlogen genug wäre, fügen sie in der Methodik an:

„Wir setzten dann auf das Gesamtvolumen der jährlichen Copyrightverletzungen eine Ersatzrate an. Diese Ersatzrate entspricht der Anzahl von Einheiten, die aller Wahrscheinlichkeit hätten verkauft werden können, wenn es keine Piraterie (mehr) gäbe.“

Ersatzrate: 10%. Das heißt, für je 10 Lieder, die jemand runterlädt, hätte er eins gekauft. Denn weil jemand mehr Lieder runterladen kann, hat er automatisch mehr Geld für Medien… Bei TV wird es ganz verrückt: Da rechnen sie mit 30% Ersatzrate…

Ich wünschte, wir wären damit bereits fertig und Tera hätte so einen Unsinn gar nicht erst verzapft. Sind wir aber leider nicht. Die rechnen nämlich gerade mit diesen Methoden. Und sie rechnen mit seltsamer Mathematik (Seite 37):

Verluste in Deutschland 2008: 121 mio€ (Musik) + 251 mio€ (Filme) + 74 mio€ (TV) = 740 mio€.

Das ganze nochmal mit Taschenrechner: 121+251+74 = … 446. Genau.

Bei 420 Millionen genanntem Umsatzrückgang seit 2004. Ob die falsche Rechnung nun Absicht war, möchte ich nicht beurteilen.

Aber das ist noch nicht so krass, immerhin liegen genannter umsatzrückgang und behaupteter Verlust in der gleichen Größenordnung. Also schauen wir uns Italien an. Die Umsätze gingen von 2004 bis 2008 nach den Zahlen von Tera um 300 Millionen € zurück, auf etwa 1800 mio€. Durch Tauschbörsen verloren die Medienkonzerne aber angeblich 637 mio€. Anders gesagt: Die Medienindustrie rechnet uns vor, dass sie ohne Tauschbörsen nicht 15% kleiner sondern 15% größer wäre. Erklärt aber nicht, woher Leute dieses zusätzliche Geld haben sollten.

Ganz krass wird es, wenn wir uns Spanien anschauen. Da rechnen sie mit 1,3 Milliarden Verlusten durch Tauschbörsen, während sie 2004 insgesamt nur knapp 2,17 Milliarden Gesamtumsatz hatten, 2008 noch 1,65 Milliarden, ein Rückgang von gerade mal 0,52 Milliarden. Wenn also die Kunden keine Medien kopieren würden, dann wären die Umsätze der Medienindustrie auf 2,95 Milliarden € gestiegen? Das wäre ein Zuwachs um etwa 36%! Also nochmal die Frage: Von welchem Geld?

Die ganze Zahlenspielerei greift aber immernoch zu kurz. Sie rechnet nämlich immer wieder mit den Gesamtverlusten und nennt danach Tauschbörsen als Ursache. Leider haben wir keine Daten dazu, wie viele Leute keine CDs mehr kaufen, weil ihre Freunde verklagt wurden (die Industrie vor den Auswirkungen ihres Klagenwahns zu schützen ist nicht Sache der Politik, eher sollte die Politik die Kriminalisierung von 30% des Gesellschaft verhindern), und auch keine Daten dazu, wie viel Geld die Medienindustrie verliert, weil Leute jetzt Singles kaufen können, statt die ganze CD kaufen zu müssen. Aber wir können legale Downloads vs. CDs prüfen.

Um einen kleinen Anklang davon zu erhalten, nehmen wir einfach nochmal die Zahlen für Deutschland. Digitale Musikverkäufe stiegen um knapp 100 Millionen. Physikalische fielen um knapp 300 Millionen. Ein einzelnes Lied kostet im Netz etwa 1€. Eine CD kostet 15€. Wenn also nun die legalen Downloader statt einer ganzen CD einfach nur ihre 5 Lieblingslieder gekauft haben, erklärt sich bereits der gesamte Verlust des Musikgeschäftes: Die Firmen machen sich selbst Konkurrenz, indem sie das, was die Leute haben wollen, für geringere Kosten anbieten.

Alles in allem lässt sich mein Kommentar zum Tera-Report zusammenfassen als: Traue keiner Statistik, die von Lobbyisten einer großen Industrie gemacht wird, vor allem von keiner Industrie, die sich in den letzten Jahren einen einwandfreien Leumund erworben hat: Durch ständige Klagen gegen die eigenen Kunden, Kriminalisierungskampagnen und verlogenen Lobbyismus für Gesetze, mit denen sie ihre eigenen Kunden noch besser verklagen können.

Nun aber wieder zu ihrer Begründung.

Zwangsenteignung

Sie sprechen von Zwangsenteignung: Die Künstler würden enteignet, wenn sie nicht mehr jeden Vertriebsweg ihres Werkes kontrollieren können. In Wirklichkeit reden wir aber von einem Monopolrecht. Der Staat gibt den Künstlern ein Monopolrecht auf bestimmte Verwertungsarten. Und dieses Monopol ist nur sinnvoll, wenn es den Kulturellen Wohlstand in Deutschland steigert. Ich habe dazu vor einiger Zeit einen Text geschrieben, der analysiert, wie das Urheberrecht dieses Ziel am Besten erreichen kann: Sinn des Urheberrechtes und staatlich garantierter Monopolrechte, der sie hier vielleicht interessieren könnte4. Kurzform: Das Urheberrecht sollte einen Ausgleich zwischen drei Zielen erreichen:

  • Gesellschaft: Möglichst breites kulturelles Wissen der Bürger (kulturelle Teilhabe).
  • Kreative: Geld verdienen und ihre eigenen Werke verbreiten.
  • Bürger/Kunden: Zugriff auf möglichst viele Werke haben, die ihnen gefallen.

Das ideale Gleichgewicht zwischen diesen Zielen zu finden ist die einzige legitime Begründung für ein staatliches Monopolrecht. Es gibt kein „natürliches geistiges Eigentum“, denn „geistiges Eigentum“ bedeutet immer, dass einem Menschen das Recht eingeräumt wird zu beschränken, was andere Menschen tun dürfen. Daher sind es Monopolrechte: Wer das geistige Monopolrecht auf ein Fahrrad hat (Patent), kann anderen verbieten, sich selbst ein Fahrrad zu bauen. Wer das geistige Monopolrecht auf ein Lied hat, kann anderen verbieten, dieses Lied zu singen oder weiterzugeben, und beides ist ein staatlich geregelter Eingriff in die individuelle Handlungsfreiheit.

Durch die geringeren Prouktions- und Verbreitungskosten von Medien im Internet, brauchen die Künstler deutlich geringere Monopolrechte, um die Kosten für den Vertrieb der Werke zu zahlen, so dass der Kompromiss in Richtung individueller Handlungsfreiheit verschoben werden sollte. Dass der Teil der Industrie, der sich auf die reine Verbreitung von Werken gründet, anderer Meinung ist, ist zu erwarten.

Die Unterstützer

Haben Sie sich die Webseite des European writers Council angesehen? Da steht fast wortwörtlich „wir sind für ein aggressiveres Urheberrecht“. Dass die Gallo unterstützen ist klar. Die anderen haben gesagt „wir wollen nicht, dass für sie finanziell spürbare Änderungen gemacht werden, ohne dass sie klar definiert sind“. Da steht nirgendwo, dass sie gegen Änderungen sind, sondern nur, dass sie wissen wollen, worum es genau geht.

Zusätzlich sind die Unterstützerunterschriften teilweise schlicht und einfach gefälscht. Ein Toter kann keine Petition für Gallo unterschreiben und wer nicht gefragt wurde kann das ebensowenig (siehe 5: das wurde gemacht).

Nicht mehr bezahlen

Zum Abschluss werfen sie „wir können Werke herunterladen“ zusammen mit „wir wollen nicht bezahlen“. Das ist aber eine falsche Schlussfolgerung.

Die funktionierende Schlussfolgerung wäre: „Wir müssen nicht mehr bezahlen“.

Wie aber z.B. Magnatune6 zeigt, ein Online-Label bei dem niemand bezahlen muss, aber so viel zahlen kann, wie er will, wollen viele Musikfans für ihre Musik bezahlen, teils sogar deutlich mehr als das, was eine einzelne CD kostet. Wir können alle Musik gratis hören, und Leute bezahlen dafür – nicht trotzdem, sondern gerade deshalb. Wer einen Künstler mag, gibt ihm Geld, damit der Künstler mehr gute Musik produzieren kann. Dass die Fans wissen, dass die meisten Künstler von jeder CD nur ein paar Cent erhalten, hilft den CD-Verkäufen logischerweise nicht, aber das ist kein Fehler der Fans sondern der Medienfirmen.

Abschluss

Als Abschluss will ich noch eine letzte Frage stellen: Wie passt es zusammen, dass Avatar der finanziell erfolgreichste Film aller Zeiten ist, und gleichzeitig die Medienfirmen erklären, sie würden Umsätze verlieren? Offensichtlich bezahlen ihre Kunden gerne für wirklich gute Werke. Und das, während in den letzten 4 Jahren so gut wie jeder neue Kinofilm in tauschbörsen verfügbar war, bevor er im Kino kam, Avatar genauso.

Die Medienindustrie versucht, ihre abgrundtief schlechte PR („Gib mir Geld, denn ich verklage deine Freunde!“) und ihr völliges Verschlafen des Onlinemarktes dadurch wettzumachen, dass sie alternative Vertriebswege blockiert.

Tauschbörsen erhöhen nicht nur den Zugriff auf Kultur (kulturelle Diversität ist nur etwas wert, wenn sie die Leute auch erreicht), sondern bieten Künstlern die Möglichkeit, ihre Werke zu vernachlässigbaren Kosten selbst zu veröffentlichen, so dass sie von großen Firmen unabhängig werden. Und neue Bezahlmöglichkeiten im Internet ermöglichen es ihnen, von ihrer Kunst zu leben, ohne Zwischenhändler zu brauchen. Indem die Künstler so unabhängig von den wenigen großen Kontrollinstanzen (große Medienfirmen) werden, steigt die kulturelle Diversität deutlich.

Und ein persönliches Beispiel: Ich habe bis 2001 etwa eine CD pro Jahr geschenkt bekommen, und das war alles an Musik, was ich gehört habe. Dann habe ich in Tauschbörsen die Musik gefunden, die mich noch heute fesselt (Filk: Science-Fiction- und Fantasy-Folkmusik). Inzwischen kaufe ich 4-6 CDs im Jahr; direkt von den Künstlern. Ohne Tauschbörsen hätte ich diese Musik nie gefunden, was ein sehr schönes Beispiel dafür ist, wie die Kulturelle Diversität und die Umsätze der Künstler gerade durch nichtkommerzielles Tauschen im Netz gesteigert werden. Und ich bin kein Einzelfall.

Die Wise Guys7 haben auf ihren Konzerten eine persönliche Erhebung gemacht: „Wie viele von euch sind hergekommen, weil sie von einem Freund eine Platte gebrannt bekommen haben? … Also empfehlt uns weiter!“

Fazit

Die ihnen vorgelegten Statistiken sind zurechtgefälscht, und auch noch dreist und ungeschickt, Gallo wird, falls es umgesetzt wird, der Kreativwirtschaft mehr schaden als nutzen und gleichzeitig die Bürgerrechte in unserem Land massiv aushöhlen, zusammen mit einer noch stärkeren Kriminalisierung von etwa 30% der Bürger.

Sie haben mit ihrer Zustimmung weder sich selbst, noch den Grünen, noch der Gesellschaft einen Gefallen getan.

Bitte überdenken sie das nächste Mal, mit wem sie reden, wenn ihnen ein Lobbyist eine Statistik in die Hand drückt. Ihre Fraktionkollegen wissen vermutlich deutlich besser, was wirklich sinnvoll für unser Land ist, als ein Lobbyist, der nur an seine eigenen Pfründe denkt und dafür auch mal Statistiken fälscht8.

Mit freundlichen Grüßen, Arne Babenhauserheide


  1. Anti-Pirates List Dead and Pre-Teen Artists as Petition Signatories [24] ↩

  2. Lobby at its best: Toter und 7-Jährige unterzeichnen für Urheberrechts-Verschärfung [25] ↩

  3. Der Tera-Report (PDF) [41] ↩

  4. „Geistiges Eigentum“ - Sinn des Urheberrechtes und staatlich garantierter Monopolrechte [11] ↩

  5. Anti-Pirates List Dead and Pre-Teen Artists as Petition Signatories [24] ↩

  6. Magnatune [42] ↩

  7. Die Wise Guys [43] ↩

  8. Anti-Pirates List Dead and Pre-Teen Artists as Petition Signatories [24] ↩

Werke von Arne Babenhauserheide. Lizensiert, wo nichts anderes steht, unter der GPLv3 or later und weiteren freien Lizenzen.

Diese Seite nutzt Cookies. Und Bilder. Manchmal auch Text. Eins davon muss ich wohl erwähnen — sagen die meisten anderen, und ich habe grade keine Zeit, Rechtstexte dazu zu lesen…


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[1] http://www.abgeordnetenwatch.de/verbesserte_durchsetzung_von_urheberrechten-106-299---abstimmungsverhalten-p_11_abst_ja.html#abst_verhalten
[2] http://reinhardbuetikofer.eu/kontakt/
[3] http://www.helgatruepel.de/kontakt/
[4] http://www.xn--drachentrnen-ocb.de/licht/politik/kommentare/verblendete-zustimmung-zu-gallo
[5] http://www.netzpolitik.org/2010/europaparlament-stimmt-fur-gallo-report/
[6] http://tomsmithonline.com
[7] http://schlockmercenary.com
[8] http://www.abgeordnetenwatch.de/reinhard_buetikofer-901-22776--f266616.html#q266616
[9] http://events.ccc.de/congress/2010/
[10] http://events.ccc.de/congress/2010/Fahrplan/events/4089.de.html
[11] http://draketo.de/licht/politik/geistiges-eigentum-sinn-des-urheberrechtes-und-staatlich-garantierter-monopolrechte
[12] http://www.xn--drachentrnen-ocb.de/licht/politik/die-versuche-tauschboersen-zu-stoppen-etwas-geschichte
[13] http://www.xn--drachentrnen-ocb.de/licht/politik/geistiges-eigentum-sinn-des-urheberrechtes-und-staatlich-garantierter-monopolrechte
[14] http://www.xn--drachentrnen-ocb.de/licht/politik/brueckenwaechter-ohne-schlucht
[15] http://www.xn--drachentrnen-ocb.de/licht/politik/erfolg-alternativer-geschaeftsmodelle-im-netz-humble-indie-bundle
[16] http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/der-widerstand-geht-weiter-keine-polizeigewalt.html
[17] http://11k2.wordpress.com/2010/09/24/die-grunen-driften-nach-rechts-ja-stimmen-fur-den-gallo-report/
[18] https://twitter.com/wettach/status/25342313653
[19] http://www.european-writers-congress.org/
[20] http://draketo.de/comment/reply/402#comment-form
[21] http://draketo.de/licht/politik/kommentare/verblendete-zustimmung-zu-gallo
[22] http://draketo.de/licht/politik/kommentare/schaedliche-zustimmung-zu-gallo
[23] http://topsy.com/draketo.de/licht/politik/kommentare/schaedliche-zustimmung-zu-gallo
[24] http://torrentfreak.com/anti-pirates-list-dead-and-pre-teen-artists-as-petition-signatories-100923/
[25] http://www.musikdieb.de/?p=1220
[26] http://votewatch.eu/cx_mep_details.php?euro_parlamentar_id=91&lang=de
[27] http://votewatch.eu/cx_mep_details.php?euro_parlamentar_id=668&lang=de
[28] http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/partei-ergreifen-mitglied-werden.html
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[30] https://twitter.com/ArneBab/status/992524768644681730?ref_src=twsrc%5Etfw
[31] http://www.gruene.de/partei/bdk-in-berlin/drei-tage-volles-programm.html
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[33] https://twitter.com/matthi_bolte
[34] http://identi.ca/notice/100762274
[35] http://votewatch.eu/cx_vote_details.php?id_act=954&euro_vot_valoare=&euro_vot_rol_euro_grup=&euro_vot_rol_euro_tara=&vers=2&order_by=euro_tara_nume_de&order=ASC&last_order_by=euro_tara_nume_de&limit=0&offset=0&nextorder=ASC&euro_tara_id=2&euro_grup_id=5&euro_vot_valoare=&euro_vot_rol_euro_grup=
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[39] http://www.helgatruepel.de/argumentation-zur-abstimmung-zum-gallo-bericht/
[40] http://www.helgatruepel.de/argumentation-zur-abstimmung-zum-gallo-bericht/comment-page-1/#comment-146
[41] http://www.iccwbo.org/uploadedFiles/BASCAP/Pages/Aufbau%20einer%20digitalen%20Wirtschaft.pdf
[42] http://magnatune.com
[43] http://wiseguys.de